Seltsame Verpflöckungen und magische Zeichen in alten Holzbauten
Nach altem Glauben, der seine Wurzeln in vorchristlicher Zeit hat, ist die Natur beseelt von den Geistern der Vergangenheit: In Seen, Flüssen und Bächen leben Nixen, Göttinnen und Wassergeister. Auf den Bergen treiben Drachen und andere Fabeltiere ihr Unwesen und in Höhlen und unter grossen Steinen hausen Zwerge. An Wegkreuzungen lauern Kobolde und Krankheitsdämonen ahnungslosen Wanderern auf und im Wald und in den darin stehenden Bäumen wohnen die Seelen der Verschiedenen.
Beides sind natürliche Schwingungen, die unsere Selbstheilkräfte aktivieren und so eine Heilung bewirken. In diese Sparte gehören auch die Bachblüten, die Ihnen sicher bekannt sind.
Der Totenbaum
Alle diese Vorstellungen leben nicht nur in den Erzählungen des Volkes fort, sondern sie manifestieren sich auch in Bestattungsbräuchen und in der Umgangssprache. So wickelt man hierzulande die Verstorbenen nicht in Tücher, wie dies von Christus gesagt wurde, sondern man legt sie in einen aus Tannen- oder Fichtenholz gefertigten Sarg, den man im Luzerner Hinterland bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts «Totenbaum» nannte.
In diesem Zusammenhang symbolisiert der Sarg die Rückkehr der Seele in den Baum. Einzelne, an besonderen Plätzen stehende Tannen und Fichten, galten als heilig und von den Geistern der Ahnen bevorzugt. Wer sich an diesen Bäumen vergriff, forderte die jenseitigen Mächte heraus. Von den mit dem Frevel verbundenen Folgen berichten wiederum Sagen und Legenden. Nach einer 1856 vom Historiker und Volkskundler Ernst Ludwig Rochholz publizierten badischen Erzählung, fand man einst ein vermisstes Kind ertrunken in einem Bach. Seinen Tod schrieb das Volk einer weissgekleideten Gestalt zu, die oft bei den Trümmern einer nahegelegenen Burg gesehen wurde. Das Schicksal dieses geisterhaften Wesens, hiess es, sei an eine heilige Tanne geknüpft, die man einst fällte. Aus dem Holz eben dieses Baumes sei die Wiege jenes Kindes verfertigt worden, das seinen Eltern so früh verloren ging.
Geisterbann
Sagen wie diese belegen, dass das Holz nach dem Fällen eines Baumes keineswegs unbeseelt ist, sondern auch dann mit den höheren Mächten in Beziehung steht, nachdem es zu Möbeln, Brettern oder Gebäuden verarbeitet wurde. In diesem Zusammenhang sind auch die zahlreichen Bräuche der Zimmerleute zu sehen, wie zum Beispiel das «Feierabendklopfen» oder die heute noch üblichen Richtfeste, bei denen man früher die Schädel der geschlachteten Ochsen als Schutzzeichen unter die Giebel hängte oder über den Stalltüren befestigte. Alle diese Vorkehrungen sollten dazu beitragen, die mit dem Holz ins Haus kommenden Naturgeister günstig zu stimmen.
Von den guten Geistern hören wir meist wenig. Umso mehr ist von dunklen Gestalten die Rede, die Unruhe ins Haus bringen. Das ist menschlich. Das Gute nimmt man einfach an, während man sich vor dem Bösen fürchtet und gegen sein Wirken Massnahmen ergreift.
Noch immer wird von Häusern berichtet, auf deren Dachböden zu nächtlicher Stunde dumpfe Schritte zu hören sind oder sich an Fenstern gespenstische Gestalten zeigen. Auch das Knacken im Gebälk, das sich rational denkende Menschen durch Temperaturschwankungen erklären, deutet man bisweilen als Zeichen dafür, dass sich ein unlängst Verstorbener seinen Nachfahren bemerkbar macht. Um die nächtliche Erscheinung loszuwerden, behalf man sich früher mit Gebeten und Weihwasser. Nützte alles nichts, liess man einen von der Kirche bevollmächtigten Priester oder Kapuziner kommen, der den unruhigen Geist beschwor und in einen Balken oder Kasten bannte. Davon handeln viele Volkserzählungen. In einer Sage aus dem luzernischen Grossdietwil, das hart an der Grenze zum Kanton Bern liegt, werden die Lebenden zur Vorsicht ermahnt, wenn sie Bauholz aus einem zuvor abgetragenen Gebäude verwenden, denn man wisse nie, was sich in diesem Haus zugetragen habe und mit welchem Geist das alte Holz folglich beseelt sei. Und da sich die Geister der Toten nicht so leicht vertreiben liessen, sei die Gefahr gross, bei der Wiederverwendung von altem Holz einen unruhigen Geist «einzuschleppen». Dazu die folgende Sage:
Eine unruhige Seele wird in einen Balken gebannt
Im Dorf Grossdietwil steht ein neues Haus, in welchem ein Gespenst seinen Sitz gehabt haben soll. Dieses sei in einen Balken, den man von einem alten Hause genommen, in das neue Haus gekommen. In früheren Zeiten habe dieses Gespenst den Leuten im Hause keine Ruhe gelassen, sei zu Nacht zu verschlossenen Türen oder Fenstern in Gestalt eines grossen schwarzen Mannes hereingekommen, um sie auf alle mögliche Weise zu quälen. Der Herr Pfarrer habe sodann den Geist exorziert und ihn in ein zuvor gebohrtes Loch in einem Balken verbannt und das Loch mit einem geweihten Zapfen verschlossen. Würde der Zapfen herausgenommen, so hätte der Geist wieder die volle Freiheit, im Hause zu walten.
Aufgezeichnet wurde diese Begebenheit von Pfarrer Alois Lütolf, der die von ihm gesammelten Geschichten 1862 publizierte. Sein Werk ist bis heute eine wichtige Quelle für Volkserzählungen und Bräuche des Luzerner Hinterlandes.
Hanfverpflöckung: Verpflöckung mit eingeklemmten Hanffasern in der Wallfahrtskaplanei Hergiswald. Die hinter einer Vertäfelung zum Vorschein gekommene Verpflöckung stammt vermutlich aus dem 19. Jahrhundert.
Das Toggeli
Ein in der Zentralschweiz besonders gefürchteter Dämon ist das Toggeli. Dieses heimtückische und unberechenbare Wesen dringt nachts in tierischer oder menschlicher Gestalt durch Ritzen und Schwundrisse in die Schlafkammern der Opfer. Dort schleicht es sich zu den Betten der Ruhenden, kriecht ihnen auf die Brust, würgt und drückt sie, bis sie mit einem Aufschrei erwachen. Vom Toggeli berichtet bereits der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat (1545–1614), der glaubte, es handle sich hierbei um einen Geist in der Gestalt einer struppigen Katze, die sich den im Bett liegenden Menschen auf die Brust lege.
Wie lebendig diese Vorstellungen auch heute noch sind, zeigt die kaum überschaubare Fülle der magischen Mittel, die das Toggeli abwehren, vertreiben oder mit denen es gefangen werden kann. Das am häufigsten genannte Abwehrmittel ist das Sackmesser. Halb aufgeklappt steckt man es über dem Kopfende des Bettes ins Holz. Man glaubt, dass sich das anschleichende Toggeli daran verletze und als Folge davon zurückkrebse. Anstelle des Sackmessers tut es auch eine rostige Schere oder ein Bajonett. So ging vor etwa 10 Jahren im Luzerner Rottal eine betagte Frau nur unter der Bedingung ins Altersheim, dass sie das in alte Stofffetzen gewickelte Bajonett ihres Vaters mitbringen und nachts mit ins Bett nehmen dürfe. Auf Nachfrage des Pflegepersonals beteuerte sie, sie sei ihr Leben lang vom Toggeli bedrängt worden. Geholfen habe allein das scharf geschliffene Bajonett ihres Vaters.
Half auch das nichts, bohrte man ein Loch in die Wand und verschloss dieses mit einem Holzdübel, den man mit einem Büschel Hanffasern einklemmte. Derartige Verpflöckungen kommen bei der Renovation alter Holzbauten regelmässig zum Vorschein. Beispiele dafür finden sich zuhauf. Und sie belegen, dass in Zeiten höchster Bedrängnis offenbar selbst geistliche Herren zu diesen unheiligen Mitteln griffen, um sich vor nächtlichen Druckgeistern zu schützen. Ein Beleg dafür ist die gut erhaltene Toggeliverpflöckung, die man bei der Renovation der Wallfahrtskaplanei von Hergiswald bei Kriens fand.
Pentagramm und IHS
Damit es erst gar nicht so weit kam, schützte man Haus und Hof mit magischen Zeichen, welche die bösen Mächte fernhalten sollten. Unter diesen gilt das Pentagramm, der 5-zackige Stern, als das mächtigste. Eines der bislang am besten erhaltenen Beispiele ist vor einigen Jahren im Luzerner Hinterland entdeckt worden. Der unterhalb der Jahreszahl 1654 eingeritzte 5-zackige Stern zählte bis zum Abriss des Hauses zu den schönsten und wohl am besten erhaltenen Pentagrammen des Kantons Luzern. Ganz so sicher scheint man sich der Sache aber doch nicht gewesen zu sein, denn unterhalb des Sterns finden wir das von einem Kreuz gekrönte christliche Schutzzeichen IHS. Die Not muss gross gewesen sein, denn man rief mit den beiden Zeichen sowohl die christlichen als auch die heidnischen Mächte an, um sich das Böse vom Leib zu halten. Das verwundert nicht, wenn man weiss, dass nach altem Glauben in dunklen Winternächten an eben diesem Haus einst das Heer der
ins Jenseits jagenden Seelen der Toten vorbeizog.
Eine Schutzwirkung gegen das Böse versprach man sich auch von Schreckmasken, die man meist an zentralen Orten im Innern der Bauten anbrachte. Bekannt ist die Schreckmaske im Keller der über 400 Jahre alten Ronmühle in Schötz. Sie stellt einen gutartigen Dämon dar, der das Böse erschrecken und dadurch vertreiben soll.
Es wäre falsch, anzunehmen, dass sich Begebenheiten wie die oben geschilderten auf die katholische Zentralschweiz beschränken würden. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn es in einem Haus oder Stall des benachbarten Bernbiets «unghürig» war und es ans Eingemachte ging, liessen selbst fromme und dem Katholizismus nicht unbedingt zugeneigte reformierte Berner nur zu gerne einen Kapuziner aus Luzern kommen. Besonders gefragt waren die Patres des Kapuzinerklosters Schüpfheim im Entlebuch, denn von dort war es nicht weit zur Grenze, die Bern von Luzern trennt. War keiner abkömmlich, wandten sich die Berner an einen der ihren. Nachweislich als «Versegner» und Wunderdoktor tätig war Christian Abbühl aus dem bernischen Wilderswil. Bekannt ist er deswegen, weil sich sein 1823 verfasstes Rezeptbüchlein erhalten hat. Was darin steht, ist zwar weder einmalig noch besonders, denn die beschriebenen Praktiken entsprechen weitgehend dem, was man zu dieser Zeit im gesamten Alpenraum an Magischem kannte und praktizierte. Auffallend ist jedoch der hohe Anteil katholisch geprägter Segensformeln, die im reformierten Bernbiet damals weitgehend unbekannt waren. Abbühl war offenbar überzeugt: Es ist nicht entscheidend, ob ein Katholik oder ein Reformierter die Formeln hersagt. Allein die Worte und Handlungen sind es, auf die es ankommt.
Im Zusammenhang mit den Verpflöckungen von Dämonen und Geistwesen in Balken, Türpfosten und Schwellen ist Abbühls Rezept «Für den Vergust [Schadenzauber] in einem Stall für in die Schwellen einzubohren» von besonderem Interesse. Darin finden wir nämlich auch die Erklärung, was man damals unter einem «geweihten Zapfen» verstand. Auf der rechten Seite ist das Rezept in der Originalsprache. Daneben sind, zum besseren Verständnis, die heutigen Bezeichnungen beziehungsweise Erklärungen eingefügt.
All diese Praktiken und Erzählungen belegen, dass das Christentum die heidnischen Vorstellungen nie zu verdrängen vermochte, sondern sich mit ihnen im Laufe der Zeit zu einem neuen Ganzen vermengte. Im Nachhinein lassen sich die verschiedenen Einflüsse kaum mehr gegeneinander abgrenzen, da sie sich gegenseitig überlagern und durchdringen indem seit jeher bestehende Riten christianisiert und im Gegenzug einzelne Elemente der christlichen Lehre volkstümlich umgedeutet und umgestaltet werden.